Queerplatonische Beziehung

Eine queerplatonische Beziehung, auch bekannt als queerplatonische Partnerschaft, auch kurz QPR von engl. queerplatonic relationship, ist eine enge zwischenmenschliche Partnerschaft, deren Grundlage nicht romantisch ist. Eine queerplatonische Beziehung unterscheidet sich von einer engen Freundschaft durch das gleiche Maß an explizitem Engagement, Status und Struktur wie eine formelle romantische Beziehung, während sie sich von einer romantischen Beziehung dadurch unterscheidet, dass sie keine romantischen Liebesgefühle beinhaltet. Das Neologismus-Wörterbuch des College of William & Mary definiert queerplatonische Beziehungen als eine „extrem enge“ Beziehung, die „über die Freundschaft hinausgeht“, ohne romantisch zu sein.

Das Konzept stammt aus aromantischen und asexuellen Räumen innerhalb der LGBTQIA+-Gemeinschaft.[1] Wie romantische Beziehungen sollen queerplatonische Beziehungen manchmal eine tiefere und bedeutungsvollere emotionale Verbindung als typische Freundschaften beinhalten.

Definition

Das Asexual Visibility and Education Network definiert queerplatonische Beziehungen als „nicht-romantische Beziehungen zu einer bedeutenden Person mit Partnerstatus“.[2] Angela Chen beschreibt queerplatonische Partnerschaften als „einen der wenigen expliziten Titel, die zur Beschreibung des sozialen Raums zwischen 'Freund' und 'romantischer Partnerperson' für nicht-romantische Partnerpersonen verfügbar sind, die die 'intensive Beziehung und die Sicherheit expliziter Bestätigung' teilen, die sonst ausschließlich mit Romantik verbunden sind“.[1]

Julie Sondra Decker, Autorin eines Buches über Asexualität, schreibt, dass eine QPR oft „von außen nicht von Romantik zu unterscheiden“ sei, aber „keinen romantischen Status zugewiesen bekommen sollte, wenn die Beteiligten sagen, dass sie nicht romantisch ist“. Sie merkt auch an, dass Außenstehende es als typische enge Freundschaft missverstehen können, wenn in gesellschaftlichen Kontexten offensichtliche romantische Gesten erwartet werden. Für Decker liegt das Wesentliche der queerplatonischen Anziehungskraft in ihrer ambivalenten Position in Bezug auf normative Kategorien: Sie schreibt, dass eine QPR „eine platonische Beziehung ist, die jedoch in gewisser Weise 'gequeert' ist – keine Freundschaft, keine romantische Partnerschaft, sondern etwas anderes“.[3] Ebenso charakterisiert CJ DeLuzio Chasin QPRs als „eine Meta-Kategorie, die 'Auffangbecken' für 'nicht-normative Beziehungen' ist, die 'nicht romantische Beziehungen sind, aber auch nicht ausreichend oder korrekt als 'Freundschaft' beschrieben' werden können“.[4] Einige Texte legen weniger Wert auf die Struktur des Partnerstatus oder den nicht-normativen Charakter von QPRs und konzentrieren sich mehr auf die Idee, dass es eine stärkere emotionale Verbindung als die konventionelle Freundschaft darstellt. Zum Beispiel definiert das Neologismus-Wörterbuch des College of William & Mary QPR als eine „extrem enge“ Beziehung, die „über die Freundschaft hinausgeht“, ohne romantisch zu sein,[5] und die Sexualtherapeutin Stefani Goerlich beschreibt in Psychology Today QPRs ähnlich als „ein stärkeres Engagement als Freundschaft“.[6]

Terminologie

Der Begriff „queerplatonic“ wurde im Englischen 2010 von s. e. cummings und Kaz geprägt.[1] Dies erfolgte in einem Blogeintrag mit den dazugehörigen Kommentaren, in dem ein Begriff für diese Art von zwischenmenschlichen Beziehungen gesucht wurde.[7] Die Form der zwischenmenschlichen Anziehung, die in queerplatonischen Beziehungen besteht, wurde mit dem Wort „alterous“, einem vom Substantiv „alterity“ ‚Alterität, Anderssein‘ abgeleiteten Neologismus, beschrieben.[8][9] Alternativ haben andere Quellen das Wort „queerplatonisch“ verwendet, um sowohl eine Form der Anziehung als auch eine Beziehungskategorie zu beschreiben.[10][11][12] Die Person, mit der man in einer queerplatonischen Beziehung ist, kann als „quasiplatonische“ oder „qp“ Partnerperson oder „zucchini“ bezeichnet werden.[1] „Zucchini“ wurde in dem gleichen Blogkommentar, in dem auch das Wort queerplatonisch entstand, erstmals verwendet.[13][7] Auch im Deutschen wird dieser Begriff verwendet.[14]

Der Begriff setzt sich zusammen aus queer, womit sexuelle Orientierungen, die nicht heterosexuell sind, für Geschlechtsidentitäten, die nichtbinär oder nicht-cisgender sind, sowie Lebens- und Liebesformen, die nicht heteronormativ sind bezeichnet werden, und Platonische_Liebe, der heutzutage meist eine nicht sinnliche, rein seelisch-geistig Verbindung beschreibt.

Herkunft und Verwendung

Der Begriff stammt aus den aromantischen und asexuellen Gemeinschaften,[1][5] und war in den 2010er Jahren größtenteils auf diese Kreise beschränkt. Die Huffington Post beschrieb ihn 2014 als ein „neues Label“, das aus derselben Quelle wie „aromantisch“ und „demisexuell“ stammt,[15] das Neologismus-Wörterbuch des College of William & Mary stellte 2016 fest, dass es nur in aromantischen und asexuellen Kreisen verwendet wurde,[5] und Zach Schudson und Sari van Anders charakterisierten es 2019 als eine von mehreren „aufkommenden Diskursen über Geschlechts- und sexuelle Identitäten“, die auf LGBT-Social-Networking-Sites erscheinen.[16] Ab 2021 begannen jedoch einige populäre Websites, die sich an allgemeine Zielgruppen richten, das Konzept zu diskutieren,[6][17][18][19][20] und das Konzept wurde in einigen akademischen Kunst- und Literaturkritiken verwendet (anstatt nur als Neologismus diskutiert zu werden).[21][22][23]

Im Deutschen ist der Begriff mindestens seit dem Jahr 2017 belegt.[24]

Eine qualitative Analyse der Sprache von Menschen, die 2021 in Polyamorie involviert sind, führte das Wort „queerplatonisch“ als typisches Beispiel für das „komplexe“ Vokabular an, das häufig von Personen verwendet wird, die in einvernehmliche nicht-monogame Beziehungen involviert sind.[25] Y. Gavriel Ansara, der für ein Publikum von Beziehungsberatern schreibt, stellt ebenfalls fest, dass der Begriff unter polyamoren Menschen verbreitet ist.[26] Ein Artikel aus dem Jahr 2022 in der Frauenzeitschrift Bustle zog Parallelen zwischen „queerplatonischen Lebenspartnerschaften“ und einvernehmlicher Nicht-Monogamie, die sich auf Beziehungsanarchie und das gemeinsame Prinzip bezog, dass die Teilnehmer „ihre Verpflichtungen nach den Wünschen der Menschen in der Beziehung anpassen“.[20] Schudson und van Anders (2019) und der Bustle-Artikel von 2022 behaupten außerdem, dass die Verwendung des Begriffs von „jungen Menschen“[16] oder Millennials und Generation Z vorangetrieben wird.[20]

Die Sexualtherapeutin Stefani Goerlich schlug 2021 vor, dass das Konzept von Boston Marriages inspiriert wurde – formalisierte romantische Freundschaften zwischen wohlhabenden Frauen im späten 19. Jahrhundert in Neuengland. Sie charakterisierte QPRs auch als „eine alte Praxis, die wieder populär wurde“, und schlägt vor, dass Ruth und Naomi im Alten Testament „eine der frühesten aufgezeichneten QPRs“ gehabt haben könnten.[6]

Soziale Analyse

Savie Luce hinterfragt die konventionelle queere Lesart von Mary Eleanor Wilkins Freemans Two Friends, einer Geschichte, die eine Boston-Ehe darstellt und die Beziehung in einem „sexualisierten queeren Licht“ als sapphische Beziehung darstellt. Sie argumentiert, dass Freemans Protagonistinnen durch die Linse von QPR und Ela Przybylos Konzept der „asexuellen Erotik“ als erotische lesbische Partnerinnen gelesen werden können, ohne dass ihre Beziehung als sexuell oder romantisch fehldargestellt werden muss, was Luce als „erotonormativ“ betrachtet. Sie präsentiert QPR auch als radikale Gegen-Erzählung zum Lesbian Bed Death-Topos, wobei Asexualität „eine additive Qualität und kein Defizit“ in einer queerplatonischen Partnerschaft zwischen Frauen darstellt.[23]

Einige Autoren haben das Konzept von QPR als Reaktion gegen eine amatonormative Hierarchie gesehen, in der romantische Beziehungen als wichtiger angesehen werden als Freundschaften. Der Autor des Neologismus-Wörterbucheintrags zu QPR vom College of William & Mary meint, dass das Bedürfnis, eine enge platonische Bindung als eine bedeutende andere Person anstelle eines besten Freundes zu bezeichnen, nur existiert, weil die normative Erwartung besteht, dass ein Individuum seinen Partner seinen Freunden vorziehen sollte – für ihn unterscheidet sich QPR nur von Freundschaft, weil Letztere nicht „als gültiger Ersatz für romantische Liebe angesehen wird“.[5]

Ähnlich verbindet Roma De las Heras Gómez die Kritik der Beziehungsanarchie an der Vorstellung, dass eine romantische Beziehung notwendig ist, um „eine Familie zu gründen, die langfristige Partnerschaft, Zusammenleben, gemeinsame wirtschaftliche Verantwortung und potenzielle Kindererziehung umfasst“, mit Kategorien, die in „asexuellen Gemeinschaften und aromantischen Gemeinschaften online“ verwendet werden. Sie geht hier demnach auf queerplatonische Beziehungen ein – und auch wenn sie den Begriff als solchen nicht erwähnt, verwendet sie den Begriff als Schlüsselwort für das Paper,[27] was darauf hindeutet, dass sie QPR als ähnlich zu beziehungsanarchistischem nicht-sexuellem Zusammenleben und Mit-Elternschaft sieht.

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Einzelnachweise

  1. a b c d e Angela Chen: Ace: What Asexuality Reveals About Desire, Society, and the Meaning of Sex. Beacon Press, 2021, ISBN 978-0-8070-1473-8, S. 118–121 (englisch). 
  2. CJ DeLuzio Chasin: Making Sense in and of the Asexual Community: Navigating Relationships and Identities in a Context of Resistance. In: Journal of Community & Applied Social Psychology. 25. Jahrgang, Nr. 2, 2015, S. 167–180, doi:10.1002/casp.2203. 
  3. Julie Sondra Decker: The Invisible Orientation: An Introduction to Asexuality. Skyhorse, 2014, ISBN 978-1-63450-243-6, S. 25. 
  4. CJ DeLuzio Chasin: Expanding the Rainbow: Exploring the Relationships of Bi+, Polyamorous, Kinky, Ace, Intersex, and Trans People. Hrsg.: Brandy L. Simula, J. E. Sumerau, Andrea Miller. Brill, Leiden 2019, ISBN 978-90-04-41409-9, Asexuality and the Re/Construction of Sexual Orientation, S. 209–219 (brill.com). 
  5. a b c d Queerplatonic. In: 21st-Century Interdisciplinary Dictionary: A William & Mary Lexicon of English Neologisms, Buzzwords, Keywords and Jargon. Abgerufen am 25. Februar 2022. 
  6. a b c Goerlich, Stefani: Queerplatonic Relationships: A New Term for an Old Custom. In: Psychology Today. 6. September 2021, abgerufen am 25. Februar 2022. 
  7. a b A/romanticism (Der Blogeintrag mit der ersten Erwähnung des Begriffs). Abgerufen am 29. August 2024. 
  8. Georgi Gardiner: We Forge the Conditions of Love. In: academic.oup.com. 2023, S. 279–314, abgerufen am 18. Mai 2024 (10.1093/oso/9780192845450.003.0012). 
  9. Eris Young: Ace Voices: What it Means to Be Asexual, Aromantic, Demi or Grey-Ace. Jessica Kingsley Publishers, 2022, ISBN 978-1-78775-699-1 (englisch, google.com). 
  10. A Guide to 14 Different Types of Attraction In: Choosing Therapy. Abgerufen am 18. Mai 2024 (amerikanisches Englisch). 
  11. Victoria Barron: Amazing Ace, Awesome Aro: An Illustrated Exploration. Jessica Kingsley Publishers, 2023, ISBN 978-1-83997-715-2 (englisch, google.com). 
  12. Nigiel Aral, Maxene Alexandra De Castro, Karuna May Mansukhani, Ayeesha Heather Sara: Determinants of Sexual Literacy of Senior High School Students in De La Salle University-Manila. In: Educational Technology. 5. Jahrgang, Nr. 4, 29. April 2021 (edu.ph). 
  13. Eine Einleitung in die Aromantik. In: Queeres Zentrum Göttingen. Mai 2022, abgerufen am 31. August 2024. 
  14. InSpektren Redaktion: 21 – Queerplatonische Beziehungen – InSpektren. 26. Mai 2022, abgerufen am 25. August 2024 (deutsch). 
  15. Kira Brekke: This Is What It Means To Be Aromantic, Demiromantic And Queerplatonic In: The Huffington Post, 8. Oktober 2014. Abgerufen im 26. Februar 2022 
  16. a b Zach Schudson, Sari van Anders: ‘You have to coin new things’: sexual and gender identity discourses in asexual, queer, and/or trans young people’s networked counterpublics. In: Psychology & Sexuality. Band 10, Nr. 4, 2. Oktober 2019, ISSN 1941-9899, S. 354–368, doi:10.1080/19419899.2019.1653957 (tandfonline.com [abgerufen am 28. August 2024]). 
  17. What Does A Queerplatonic Relationship Look Like? In: DriveThru. 11. Juni 2021, abgerufen am 25. Februar 2022. 
  18. Barrie Davenport: Are You In A Queerplatonic Relationship? 13 Clues You Are. In: Live Bold & Bloom. November 2021, abgerufen am 26. Februar 2022. 
  19. Queerplatonic Relationship: What It Is & 25 Signs You're In One. In: LovePanky: Your Guide to Better Love and Relationships. 12. Juni 2021, abgerufen am 26. Februar 2022. 
  20. a b c Lexi Inks: Your Guide To Queerplatonic Life Partnerships In: Bustle. Abgerufen im 26. Februar 2022 
  21. Milena Popova: 'Dogfuck rapeworld': Omegaverse fanfiction as a critical tool in analyzing the impact of social power structures on intimate relationships and sexual consent. In: Porn Studies. 5. Jahrgang, Nr. 2, 3. April 2018, S. 201, doi:10.1080/23268743.2017.1394215 (worktribe.com [abgerufen am 25. Februar 2022]). 
  22. Ela Przybyło: Ace and aro lesbian art and theory with Agnes Martin and Yayoi Kusama. In: Journal of Lesbian Studies. 26. Jahrgang, Nr. 1, 2022, S. 89–112, doi:10.1080/10894160.2021.1958732, PMID 34463602. 
  23. a b Savie Luce: Asexual Erasure Undone: A Short Literary History of Asexuality in 19th-to 20th-Century Literary Classics. 2021; abgerufen im 1. Januar 1. 
  24. Xenia: Queerplatonik | Queer Lexikon. 8. Juni 2017, abgerufen am 25. August 2024 (deutsch). 
  25. Daniel Cardoso, Patricia M. Pascoal, Francisco Hertel Maiochi: Defining Polyamory: A Thematic Analysis of Lay People's Definitions. In: Archives of Sexual Behavior. 50. Jahrgang, Nr. 4, 27. Mai 2021, S. 1239–1252, doi:10.1007/s10508-021-02002-y, PMID 34046765, PMC 8321986 (freier Volltext) – (springer.com [PDF; abgerufen am 25. Februar 2022]). 
  26. Y. Gavriel Ansara: Challenging everyday monogamism: Making the paradigm shift from couple-centric bias to polycule-centred practice in counselling and psychotherapy. In: Psychotherapy and Counselling Journal of Australia. 8. Jahrgang, Nr. 2, 2020, doi:10.59158/001c.71237 (org.au [abgerufen am 25. Februar 2022]). 
  27. Roma De las Heras Gómez: Thinking Relationship Anarchy from a Queer Feminist Approach. In: Sociological Research Online. 24. Jahrgang, Nr. 4, 2019, S. 12, doi:10.1177/1360780418811965 (noblogs.org [PDF]).